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Von der Bergstraße nach Kanada
Ein erster Bericht unseres Outbounds Björn Almenäs

Zuerst einmal möchte ich dem Rotary Club Bensheim-Heppenheim und allen beteiligten Personen auf Distriktebene herzlich für mein wunderbares Placement, die Möglichkeit für diese tolle Erfahrung und ihr Engagement im Vorfeld des Austausches danken. Ich fühle mich in Kenora pudelwohl und könnte mir jetzt, nachdem ich eine Weile hier gelebt habe, kaum einen besseren Ort vorstellen.

Angekommen bin ich spät am 22. Oktober im verregneten Winnipeg nach einem 20-Stunden-Reisetag mit Zwischenlandung in Montréal. Die Clubpräsidentin und ihr Ehemann holten mich ab und ich fiel bei meiner Counselorin ins Bett und war sofort eingeschlafen. Bei ihr und ihrem Ehemann sollte ich meine ersten 6 Wochen verbringen, da Formalitäten bei der ersten Gastfamilie noch nicht geklärt waren. Dies stärkte aber unser Verhältnis.

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Meine aktuelle Gastfamilie und meine zweite Gastfamilie traf ich schon in der zweiten Woche, beide wirkten sehr nett. Die dritte Gastfamilie ist noch nicht gefunden; sollte meine Counselorin keine Familie ausfindig machen, werde ich ins Haus der Rotarypräsidentin von Kenora einziehen, wo ich schon meine vierte Woche in Kanada verbracht habe, nachdem meine Counselorin und ihr Mann auf Geschäftsreise waren. Zu ihnen pflege ich ebenfalls ein gutes Verhältnis. Meine jetzige Gastfamilie ist ein Ehepaar um die 60 Jahre. Sie leben in einem wunderschönen Apartment direkt mit Balkon und Blick auf den malerischen „Lake of the Woods“. Außerdem besitzen sie ein Boot am Steg vor ihrem Haus, was aber leider bereits eingeholt wurde für den Winter. Sie sind unheimlich nett und spendabel, ich kann mich gut ins Familienleben einbringen. Besonders ihr kleiner, siebenjähriger Enkel hat mich bereits als großen Bruder ins Herz geschlossen. Er wohnt mit seiner Mutter hier in der Stadt und verbringt viel Zeit bei seinen Großeltern und somit mit mir. Wir hatten hier ein schönes Thanksgivingfest mit vielen Gästen und mehr leckerem Essen als man jemals essen könnte.

Zur Schule werde ich gefahren, da meine Hostmutter in der Grundschule neben meiner unterrichtet. Der Schulweg mit Auto beträgt etwa 10 min, was für kanadische Verhältnisse relativ nah ist.  Ich bin auf der katholischen Saint Thomas Aquinas High School, eine eher kleine öffentliche Schule, die jedoch einen starken Schulgeist besitzt. Schule begann hier am ersten September. Meine Mitschüler sind alle sehr freundlich und sehr offen, so wurde ich schon öfters zu Leuten nach Hause eingeladen.

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Eine besonders große Rolle kommt jedoch dem Sport zu; bald beginnt die für mich wichtige Basketballsaison, doch bis dahin bin ich im Volleyballteam. Ich hatte davor nie strukturiert Volleyball gespielt, die Teamkollegen nahmen mich aber herzlich auf und wir fahren sehr oft an Schultagen auf Auswärtsspiele in der Region, was immer besonders spaßig ist. Sehr angenehm ist, dass die Schule hier erst um 8:45 beginnt, so hat man morgens etwas mehr Zeit als in Deutschland. Meine Mitschüler sind im Allgemeinen sehr eifrig und machen im Vergleich zu einem Großteil der Schüler in Deutschland regelmäßig ihre Hausaufgaben. Hausaufgaben sind hier freiwillig, und da ich die Inhalte der 12.-Klasse-Fächer allesamt in Klasse 10 und 11 gelernt habe, muss ich hier auch kaum zu Hause arbeiten, außer wir müssen einen Essay für Philosophie schreiben.  Manche Mitschüler sind sogar etwas neidisch, da ich nur sehr wenig für die Tests mache und dann immer sehr gut abschneide.

Mit der Schule habe ich also keine Probleme, sie ist im Gegensatz sogar um einiges einfacher als in Deutschland. Trotzdem habe ich viel Spaß in der Schule und komme auch mit den Lehrern hervorragend klar.  Dieses Halbjahr belege ich Mathe, Physik, Philosophie und Outdoor Education. Gerade letzteres ist äußert interessant, so habe ich mit dieser Klasse schon diverse Trips unternommen, unter anderem einen Campingtrip und einen mehrtägigen Kanutrip in die Wildnis.

Mein Rotaryclub trifft sich montags zur Mittagszeit. Dort wurde ich unglaublich herzlich aufgenommen und wirklich jeder wollte mit mir sprechen. Jede Woche werde ich von einem anderen Rotarier abgeholt und nach dem Meeting wieder zur Schule gebracht. Auch nach wie vor sind die Leute interessiert an meiner Meinung und Sicht der Dinge als Deutscher. Die Meetings sind immer sehr spannend und das Essen stellt oft mein kulinarisches Wochenhighlight dar. Mein Land und meine Region werde ich in einem Vortrag erst im Januar vorstellen, ich habe meinerseits aber bereits Ideen für weitere mögliche Vorträge, die ich halten könnte. Viele der Rotarier luden mich anfangs zum Abendessen ein, auf den wunderschönen „Lake of the Woods“ wurde ich von Rotariern und meiner Counselorin mehrmals unter anderem zum Fischen oder Mittagessen per Boot mitgenommen. Dem Rotary Club habe ich schon mehrfach ausgeholfen, zum Beispiel mit Snackverkauf bei Sportturnieren oder beim Müllaufsammeln am Rand des Highways.

RC_Almenas_005Letztes Wochenende hatte ich zudem meine bereits zweite Orientation. Die erste war besonders schön, da ich alle anderen Austauschschüler kennenlernte. Wir waren zwar nur 16 Leute, was relativ wenig ist im Vergleich zu den Inbounds in meinem Heimdistrikt, jedoch verstehen wir uns alle besonders gut mit einander und können durch die geringe Anzahl noch enger zusammenwachsen. Trotzdem bin ich in einem der größten Rotarydistrikte gelandet (D5550), der sich von Nord-Ontario über ganz Manitoba und Saskatchewan erstreckt. Die vertretenen Nationen sind neben Deutschland die Schweiz, Slowakei, Finnland, Dänemark, Italien, Frankreich, Belgien, Spanien, Taiwan, Brasilien und Kolumbien. Jedoch bin ich der einzige Austauschschüler von Rotary in meiner Stadt, es gibt zudem ein japanisches Mädchen eines anderen Austauschprogramms in Klasse 9. Bei der Orientation hatten wir neben einem spaßigen Abend mit Länderpräsentationen und edlem Dinner ein volles Programm inklusive einem Ausritt mit der Pferdekutsche und Würstchen vom Feuer. Bei der zweiten Orientation letztes Wochenende war die Freude riesig, alle anderen wiederzusehen. Das Programm war dieses Mal noch voller, neben einer Menge kleiner Spiele und Wettbewerbe schnitzten wir Kürbisse, bowlten, gingen in einen Haunted Forest und verkleideten uns am Abend in Halloweenkostümen. Auch an diesem Wochenende gab es einen Ausritt auf der Pferdekutsche. Dieses Mal war der Abschied schwerer, hatten wir uns doch nun noch besser zusammengefunden. Am kommenden Wochenende geht es nun zum nächsten Rotaryevent: einem optionalen Trip nach Churchill in den Norden Manitobas, um auf eine Eisbärsafari zu gehen und die Hudson-Bay-Gegend zu Gesicht zu bekommen.

Zu meiner Freizeit ist zu sagen: Momentan habe ich fast keine und das ist gut! Ich gehe bis um 4 in die Schule, zwei Mal wöchentlich habe ich danach Volleyball bis um halb 7 und sonst ist oft Basketball an den freien Tagen nachmittags in der Schulsporthalle angesagt. Die Wochenenden waren fast immer ausgebucht mit Sportturnieren und damit verbundenen, hier üblichen, sehr langen Anfahrtswegen und den Rotaryorientations. Ab und zu treffe ich mich auch mit Freunden nach der Schule. Diese haben zum Glück Autos, denn dies ist eines meiner wenigen Probleme, wenn man das überhaupt so nennen kann.

Kanadische Städte sind im Vergleich zu deutschen Städten sehr weiträumig ausgedehnt. Kenora hat mit etwa der selben Einwohnerzahl wie meine Heimatstadt Hemsbach in Deutschland eine mindestens doppelt so große Fläche. Dabei sind öffentliche Verkehrsmittel quasi nicht existent, so dass man immer auf Fahrer angewiesen ist. Glücklicherweise sind meine Gasteltern bisher immer bereit gewesen, mich zu fahren, wenn es nötig gewesen ist. Und auch meine Freunde sind mit ihrem Führerschein oft bereit, mich Heim zu fahren. Ins Fitnessstudio kann ich momentan leider nur sehr sehr beschränkt, da dieses etwa 10 Minuten mit Auto entfernt ist, meine Gasteltern nicht immer zu Hause sind und bald der frostige Winter mit bis zu -50°C beginnt, womit ein Ritt mit dem Fahrrad ebenfalls wegfällt. Zudem ist das Essen wie zu erwarten unheimlich gut, aber auch unheimlich fettig und süß. Manchmal kann man bei allen Bemühungen für ein paar Tage einfach nicht gewohnt gesund essen, obwohl frisches Obst in meinem Haushalt immer eine Alternative darstellt.

Die Sprache bereitet mir zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei Probleme und ich gehe nicht davon aus, dass sich dies ändern wird. Wie schon angedeutet wird in wenigen Tagen oder Wochen der totale Winter hier einbrechen, der See zufrieren und als Straße benutzt werden. Dieses Jahr ist es jedoch ungewöhnlich lange warm gewesen, sodass ich viele schöne Stunden auf dem See verbringen konnte, der als Boot- und Anglerparadies bekannt ist. Generell habe ich bis jetzt schön einige besondere Dinge erleben dürfen. Unter anderem wurde ich zum Abendessen in den sehr exklusiven Royal Lake of the Woods Yacht Club eingeladen, hatte viele schöne Ausflüge in die Natur, und wurde mehrmals nach Winnipeg mitgenommen. Dort habe ich die berühmte Pferde- und Akrobatikshow „Cavalia“  gesehen sowie ein NHL Eishockeyspiel der Winnipeg Jets in der ersten Reihe direkt hinter der Spielerbank, wo ich sogar den echten Spielpuck geschenkt bekommen habe. Das größte Erlebnis war jedoch, dass mich der Mann meiner Clubpräsidentin auf ein NBA Preseason Spiel nach Winnipeg mitnahm. Dies war schon immer einer meiner größten Wünsche und ich bin unheimlich glücklich, dies nun endlich erlebt zu haben.
Soviel zu dem Stand der Dinge momentan.

Abschließend kann ich nur anmerken, ich liebe es hier. Das Placement ist momentan echt toll für mich und ich habe bereits viel gelernt dadurch, dass ich meine Lage und verschiedene Dinge reflektiere. So kann ich nach fast zehn Wochen sagen: bisher kann ich dem Leben als Austauschschüler nur Positives abgewinnen. Um ehrlich zu sein fühle ich mich hier zum ersten Mal stolz auf meine Nation, da ich hier viel über mein Land berichte und dabei merke, wie cool Deutschland eigentlich ist und dass wir viele Dinge in Deutschland haben, für die wir im Ausland ein hohes Ansehen genießen. 

In diesem Sinne und in grundpositiver Stimmung wünsche ich viele liebe Grüße nach Deutschland in den Rotary Distrikt 1860 und an den RC Bensheim-Heppenheim und danke nochmals allen beteiligten und verantwortlichen Leuten herzlichst.

Bis zum nächsten Bericht,
Björn Almenäs